31 Oktober, 2009

Gott als Gast

Gastfreundschaft ist nicht zu verwechseln mit Gastlichkeit, der Art und Weise, mit der ein Gastgeber seinen Gästen eine möglichst angenehme Atmosphäre und Versorgung bietet. Die Gastfreundschaft richtet ihren Blick auf den Fremden. Das altgriechische Wort xenos meint beides: Fremder (Feind) und Gast (Freund). Diese sprachgeschichtliche Eigentümlichkeit, die sich auch im Lateinischen (hospes = Fremder, Gast, Wirt) widerspiegelt, macht sehr anschaulich, worum es in der Gastfreundschaft geht, nämlich um eine kritische Ermessensfrage: Ist der Ankömmling Freund oder Feind, ein Betrüger oder ein Gesandter, ein Hausierer oder ein Notleidender? Die Aufnahme eines Fremden ist daher immer ein Wagnis – für beide Seiten. Der französische Philosoph Jacques Derrida (1930-2004) unterscheidet in seinem Buch „Von der Gastfreundschaft“ zwei Arten: die bedingte und die unbedingte Gastfreundschaft. Mit einem Beispiel für eine bedingte Gastfreundschaft, verweist er – Immanuel Kant zitierend – auf die Gewohnheit, den Gast nach seinem Namen zu fragen. Indem der Fremde seinen Namen nennt, wird er gefordert, Verantwortung für sich, vor dem Gesetz und vor seinem Gastgeber zu übernehmen. Er wird zum Rechtssubjekt. Er wird identifizierbar. Auf der anderen Seite gibt es die unbedingte Gastfreundschaft. Sie bedeutet völlig uneingeschränkte Aufnahme des Gastes. Er muss sich nicht erst ausweisen.

Gast mit Namen
Gott beschließt, sich um sein Volk zu kümmern, – der biblische Ausdruck hierfür lautet „heimsuchen“ – er begegnet Mose und stellt sich ihm als Gott der Väter vor. Mose will es genauer wissen und stellt die Frage: Wie ist sein Name? Gott formuliert daraufhin Ich bin der, der ich sein werde (Jahwe). Gott wird mit diesem Namen identifizierbar. Er übernimmt Verantwortung. Gott macht sich zur Rechtsperson und formuliert am Sinai einen Bund mit den Menschen. Er geht damit auf die Bedingungen seines Volkes ein, das er „besuchen“ will.

Für den Islam ist diese Möglichkeit nicht denkbar, weil sie die Souveränität Gottes einschränken würde. Die Namensgebung stellt nämlich für den großen islamischen Theologen Abu Hamid al-Ghazali (1058-1111) im letzten Kapitel seines berühmten Buches über die 99 schönsten Namen Gottes ein Problem da, weil Gott kein Name gegeben werden kann. Diese souveräne Handlung würde den Namensgeber über Gott stellen. Für uns ebenfalls bedeutsam ist die Gegebenheit, dass die 99 Namen Gottes und auch der Ausdruck Allah nicht für einen Eigennamen Gottes herhalten können (entgegen der Meinung der Wahabiten und der Ahmadiyya). Denn der Ausdruck Allah wurde bereits vor dem Islam von Christen und Juden allgemein für Gott gebraucht. Der Begriff ist eine Zusammenziehung aus al-ilah, die Gottheit, zu Allah mit eben der Bedeutung: der Gott. Gott im Islam bleibt damit im Sinne der angesprochenen Unbenanntheit der nicht belangbare Gott.

Abraham als Gastgeber
In der Bibel dürfen Abraham und Sarah als Beispiel für besondere Gastfreundschaft gelten (Gen.18,1-15). Drei Männer kommen zu Besuch. Abraham kennt ihre Namen nicht, und dem Gesetz der unbedingten Gastfreundschaft folgend, fragt er nicht danach. Er redet die Ankömmlinge aber mit Adonaj (Herr) im Singular an. Er führt die Gäste in den Schatten, besorgt Wasser für die Füße und Brot zum Essen. Er schlachtet eigenhändig für sie ein Kalb und bringt ihnen Milch. Sie nehmen die Gastfreundschaft an und bestätigen dies, indem sie essen. Etwas anders wird dieselbe Geschichte hunderte von Jahren später im Koran (Sure 51,24-29) erzählt. Dort wird nur das Kalb erwähnt und die Frage des Gastgebers Esset ihr nicht? legt die Annahme nahe, dass sie nichts zu sich nahmen. Liegt es daran, dass sie als Gäste keine weiteren Verpflichtungen eingehen möchten? Wer im Orient ein Essen annimmt, wird für diesen Moment Teil der Hausgemeinschaft und damit auch in die Pflicht genommen. Der arabische Hausherr in Ägypten verkündet beispielsweise heute: al-bait baitak! Das Haus ist dein Haus! Der Gast wird aufgenommen in der Hoffnung, dass er sich eines Tages erkenntlich zeigen wird. Gastfreundschaft ist im Orient in der Regel oft auch bedingt, z.B. mit der Begrenzung auf drei Tage, aber unbedingt, wenn nach einer langen Reise jemand nach Wasser fragt. Der Reiche wird wiederum anders aufgenommen, als der Palästinenserflüchtling. Aber selbst dann, wenn der Gastgeber nichts vom Gast erhalten sollte, wächst doch seine Ehre, wenn er ihn aufnimmt.

Jesus als Gast
Jesus kennen wir in der Bibel als Gast. Er wird oft eingeladen, auf Hochzeiten, zu Pharisäern, Zöllnern und Sündern, mal lädt er sich auch selbst ein, wie z.B. bei Zachäus, dem Zöllner (Lk.19). Der katholische Münsteraner Theologe Gerhard Hotze (geb. 1962) widmet sich dem Thema „Jesus als Gast“ in einer gleichnamigen Studie (2005). Es geht darin um die Einkehrerzählungen von Jesus im Lukasevangelium, die als Bild für Gottes Heimsuchung seines Volkes ausgelegt werden können. Es ist auffällig, dass Jesus immer wieder eingeladen wird und sich dabei intensiv einzelnen Menschen widmet. Jesus, der Gast, bewegt sich im Verlauf der Berichte auf einer tieferen Ebene als der eigentliche Gastgeber. Bei der berühmten Hochzeit von Kana (Joh. 2) geht plötzlich der Wein aus. Jesus nimmt sich diesem Manko als Gast an und versorgt die Hochzeitsgesellschaft durch ein Wunder mit einer Überfülle besten Weines.

Unbedingte Gastfreundschaft
Wenn man die Heilsgeschichte Gottes als Geschichte des Fremdseins in der Welt versteht (Abraham als Nomade ist der Urtyp des Menschen in der Fremde, ein Grossteil der Bibel sind Exodus- und Exilsgeschichte etc.), dann kann man diese Geschichte auch als Geschichte der Gastfreundschaft verstehen, die im Johannesprolog ihren speziellen Ausdruck findet, wenn es heißt (Jh.1,14): Und das Wort ward Fleisch und wohnte (wörtl. zeltete) unter uns. Dieses fleischgewordene Wort erwartete Aufnahme, aber es heißt dann (Joh.1,11b): die Seinen nahmen ihn nicht auf. Mit dem Kommen von Jesus entsteht auch hier die oben erwähnte Krise. Ist dieser Gast namens Jesus Freund oder Feind? Bei den Ausgegrenzten, den Sündern, Zöllnern und Kranken findet er durchgängig freundliche Aufnahme. Die herrschende Klasse aber hatte in ihm einen Feind ausgemacht und an das Kreuz schlagen lassen. Für Jesus galt hingegen: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen (Lk 6,27). Darin formulierte und vor allem lebte Jesus das, was auch Derridas Anliegen gewesen war: Die unbedingte Gastfreundschaft.

01 Oktober, 2009

Kardiosklerose

Der Monatsspruch im Oktober (Hesekiel 11,19) lautet: Gott spricht:

Ich schenke ihnen ein anderes Herz und schenke ihnen einen neuen Geist. Ich nehme das Herz von Stein aus ihrer Brust und gebe ihnen ein Herz von Fleisch.

„Kardiosklerose“ – Herzverhärtung, so könnte die Diagnose der Hartherzigkeit lauten. Dieser Begriff ist nicht im großen medizinischen Wörterbuch, dem Pschyrembel, dem Brockhaus der Mediziner verzeichnet. In Hesekiel geht es nicht um eine medizinische, sondern um eine geistliche Schwäche. Menschen, die an dieser Krankheit leiden, sind nicht mehr in der Lage ihrem Gewissen oder ihrer Einsicht zu folgen, ja selbst ihr Geist scheint am „sklerotischen“, eben verhärteten Herzen zu versagen. Das NT dreht unseren anfangs erwähnten Ausdruck unseren Gewohnheit entsprechend um: „Sklerokardia“ nennt Jesus im griechischen NT (Mt.19,8) die Hartherzigkeit, die Mose veranlasste den Scheidebrief einzuführen. Diese Art Sklerose ist eine chronische Volkskrankheit. Es scheint niemand davor gefeit zu sein. Sie beginnt langsam und steigert sich zu einem Härtegrad, der keine Barmherzigkeit mehr zulässt. Zwei erhärtete Herzen haben sich zu einem anorganischen Ding verwandelt. Es sind zwei Steine geworden, die weder Liebe abgeben noch aufnehmen können. Hier helfen keine Appelle. Hier hilft keine Übung mehr. Es nützt auch keine Krankengymnastik, die man uns an Herz legen möchte. Einzig und allein ist jetzt eine Organtransplantation angesagt. Wir müssen unter das Messer. Nur gut, dass wir es nicht mit einer medizinische Sache zu tun haben, sondern mit einer geistlichen. Der OP-Tisch Gottes ist nicht sichtbar, aber deshalb nicht weniger wirksam. Was jetzt gefragt ist, ist das gewagte Vertrauen in den Operateur, in die göttliche Chirurgie und ihre Kompetenz. Was wird wohl passieren, wenn wir Gottes Geist an Ort und Stelle den entscheidenden Schnitt machen lassen?