28 Oktober, 2006

Vom 18.10. - 26.10. hat uns Eva Lehmann aus Wiesbaden für unser Team, dass mit behinderten Kindern und deren Eltern arbeitet, an vier Abenden eine Einführung in die Thematik gegeben.

  1. Abend: Wie kommt es zu Behinderungen? Neu war mir, dass Behinderungen auch durch Stoffwechselstörungen entstehen können.
  2. Abend: Senso-motorische Entwicklung bei behinderten Kindern.
  3. Abend: Lernen durch Bewegung. (Bewegung ist die Basis allen Lernens)
  4. Abend: Unterstützte Kommunikation. Hier ging es um die Frage: Wie kann man neben dem Sprechen Bilder, Gesten und Gebärden einsetzen. Denn viele Kinder können hören und verstehen, aber trotzdem nicht sprechen.

23 Oktober, 2006

Trinität II

Am Anfang der Trinitätstheologie ging es um die Frage: Wer ist Jesus Christus im Verhältnis zu Gott, dem Vater. Wenn Gott einer ist und dieser eine Gott der Schöpfer ist, wer ist dann Jesus, der Dinge getan hat, die nur Gott zugestanden werden können, z.B.: Sünden zu vergeben? Auf dem Konzil von Nicäa wurde 325 n. Chr. unter der Leitung des Kaisers Konstantin die Aussage erkämpft: Jesus ist mit Gott wesensgleich.

Das ist eine Qualitätsaussage, die impliziert, dass Jesus zwar in menschlicher Gestalt, aber doch zugleich zu 100% als Gott wahrgenommen werden soll und nicht nur zu 99,99... %. Der Christ soll es gänzlich mit Gott selbst zu tun bekommen und niemals mit etwas Geringerem als diesem. Das ist die steile und zentrale Aussage dieser theologischen Lehraussage, die in dieser Welt immer wieder von innen und außen angefochten wird.

Muslime werfen mir im Gespräch oft vor, dass ich als Christ durch Jesus nur mit einem Mittler zu tun hätte, er aber als Muslim indessen vor Gott selbst stehe.

Dies ist natürlich sehr oberflächlich gedacht und diese These geht davon aus, das Jesus, wie sie sagen „nur“ Prophet sei. Gleichzeitig muss man aber den Muslim zurück fragen, was er denn damit meint, wenn er sagt, er stünde selbst vor Gott? Normalerweise meint er damit, dass er allein mit seinen Taten vor Gott verantwortlich ist. Er betont seine Verantwortung vor Gott, die er nicht delegieren kann und will. Das ist aber rein forensisch gedacht: er steht vor Gott als seinem Richter und Herrn, dem er ergeben sein soll und vor dem er recht handeln muss. Der Christ kennt Gott zwar auch als seinen Richter, aber viel mehr noch kennt er ihn als seinen Vater. Der Ausdruck Vater ist ein Beziehungsbegriff, der auf Gott angewendet bei Muslimen allerdings ein Gefühl des größten Unbehagens auslöst. Der Begriff Vater impliziert nämlich den Sohn und genau jene Sohnschaft darf es im Islam nicht geben. Gott ist der ganz Andere, der unteilbar Eine, von dem nichts ausgeht, wie es in Sure 112 deutlich zum Ausdruck kommt:

qul huwwa ahad.
allahu samad.
lam yalid wa lam yūlid
wa lam yakun lahu kufūan ahad.

Sprich: Er ist einer.
Gott ist samad*.
Er zeugt nicht und wurde nicht gezeugt
und nicht eines ist ihm gleich.

*(„ewig und solide“, keiner weiß, was es genau bedeutet.)


Es gibt im islamischen Gottesbild nichts Zweites neben Gott, dass gleichen Wesens mit ihm wäre, im Sinne einer Ebenbürtigkeit. Kein Zeugen und kein Gezeugt werden. Gott kann nicht mit dem Endlichen, dem nicht solide Göttlichen in eine wechselseitige Beziehung treten. Es gibt keinen Touchdown und noch weniger eine Inkarnation. Gott kann und darf sich nicht mit Innerweltlichem kontaminieren. „Allahu akbar!“ Gott ist [immer] größer. Nicht zuletzt von dieser Sure 112 leitet sich das ganze Konzept des radikalen Monotheismus ab. Gott ist absolutes Subjekt.


Und indem nun der Muslim sich diesem Subjekt Gottes ergibt, erfährt er Obhut. Denn es heißt: „Lā qūwa illā bil-llahi.” Es gibt keine Kraft außer in Gott (18,39). Ein Satz, der hier in Assuan und allgemein im Mittleren Osten auf vielen Dingen steht. Ich habe es gerade gestern wieder an einem Boot geschrieben gesehen. Was auch immer geschieht: Es ist immer Gottes Wille. An dieser Stelle gibt es dann auch keine Zweifel mehr. Der Mensch braucht nicht mehr zu grübeln. Im Ja sagen zu Gottes absolutem Subjektsein und absoluter Kraft, findet der Muslim Frieden, weil er auf die Seite Gottes weicht und in allem, was er dann noch erfährt, Gott in seinem Rücken glaubt. In Sure 18, 23 heißt es: „Und sprich von keiner Sache: »Siehe, ich will das morgen tun«, Es sei denn »So Gott will.« (inšā allah)“. Auch hier: Die Tatkräftigkeit des „Ich“ hängt gänzlich von Gott ab. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich am Beginn meiner Zeit im Mittleren Osten einen Taxifahrer bat, bei der nächsten Straße nach rechts abzubiegen und er unmittelbar antwortete: „inšā allah!“ und mich das damals sehr befremdete. Heute benutze ich diesen Satz selbst als Floskel mit dem man wunderbar vermeiden kann, verbindliche Zusagen treffen zu müssen. Diese überall anzutreffenden Verse gehören mit ihrem Inhalt des absoluten Willens Gottes zur zentralen Ästhetik im Mittleren Osten.


Der Koran kennt keine Klagepsalmen. Die Antwort auf die Widerfahrnisse dieser Welt werden Gott und seinem Willen anheim gestellt. „Und ob ich verzweifelte, was geht es mich an?“, so oder so ähnlich könnte es der Muslim mit Günter Anders sagen. In dieser Konsequenz ist Gott das Subjekt - nicht mehr der Mensch!

Dies wird an einem Beispiel aus dem Sufismus sehr schön anschaulich, dem mystischen Zweig des Islam. Das Ziel des islamischen Mystiker ist es in Gott zu „entwerden“, d.h. im Grunde in Gott aufzugehen, mit ihm zu verschmelzen, sich mit ihm zu vereinen. Der berühmte Mystiker Al-Halāj (hingerichtet 922) sagte auf diesem Hintergrund: „Ana-l-haqq“. Ich bin die Wahrheit (Gott). Dies spricht nun nicht er – wie das von seinen Gegnern falsch aufgefasst wurde - , sondern dies spricht Gott durch ihn, den Gott-Entwordenen, als performativer Akt Gottes. Hier wird deutlich, dass in letzter Konsequenz das Subjektsein des Menschen im islamischen Denken in seiner Tiefe zweifelhaft bleibt, wenn es sich auf Gott hin beziehen will.


Kommen wir zum orthodoxen Islam zurück. Sind die Gläubigen im Islam durch den absoluten Willen Gottes nicht zu seinem reinen Objekt geworden (Voluntarismus), die nur Frieden finden, wenn sie sich in dieses Konzept ergeben? Nun wird aber kein Muslim bestreiten wollen, dass er sich nicht irgendwie auch als Subjekt erlebt. Daher formulierten die Theologen im Islam, dass das Subjektsein, z.B. im Aspekt des freien Willens, erst erworben (kasaba) werden muss. Ein Ausdruck der auch im Koran erscheint (2,79.286). Wie man sich das praktisch vorstellen soll, bleibt mir ein Rätsel, denn der Erwerb als Akt, setzt ja wiederum ein klares Subjektsein voraus. Hier fehlt mir die Anschauung.


Ich möchte damit sagen, dass das pure Eine (Gott im Islam) genauso problematisch sein kann wie das Dreieine. Das absolute Eine entfaltet seine Problematik im Bezug auf das Verhältnis zum Anderen, wenn dieses Andere selbst Subjektsein beansprucht und das Dreieine entfaltet seine Problematik in Bezug auf sich selbst, wenn dies arithmetisch durchleuchtet wird.


Aber, und nun kommen wir zu einer ersten Pointe der Trinität: Das Dreieine entfaltet eine unglaubliche Integrations- und Beziehungskraft in Bezug auf das Verhältnis zum Anderen und jeglichem Zweiten, also auch zu unserem Menschsein (und nicht zuletzt auch zu unserem gebrochenen Menschsein!)


Will sagen: Ein Gott der für uns Menschen in alle Ewigkeit eine wechselseitiges Gegenüber sein will, muss plurale Momente einschließen können (trinitarisch sein), wenn dieser Gott zu uns Menschen als beziehungsfähig gedacht werden soll und nicht als Gott in bewusster Unfruchtbarkeit für alle Ewigkeit als beziehungslose, unerreichbare Einsheit überdauern will.


Fortsetzung folgt

14 Oktober, 2006

Mein ägyptischer Kollege Viktor rief mich heute Morgen um 7.25 Uhr an und sagte mir das wir zur Trauerfeier von Abuna Joakiim müssen. Er sei gestern Abend gestorben. Ich war total überrascht, weil ich ihn am koptischen Weihnachtsfest noch begrüßt hatte und er erst Anfang 50 gewesen sein muss. In der Assuaner Marienkirche war menschlich gesehen eigentlich kein Platz mehr. Aber Victor verstand es, durch die Masse von Menschen einen Weg zu bahnen, der bis in den Bereich zwischen die beiden Lesepulte hinter die Kanzel noch vor die Altarschranken führte, dort, wo der offene Sarg stand und ich direkt neben dem Liturgen zum stehen kam, unmittelbar vor dem Sarg. Ich hätte mitlesen können, wenn ich Koptisch verstanden hätte. Vor dem Sarg stand eine Schale mit Weihrauchharz und es lag dort eine Bildkarte vom auferstandenen Christus, das letztes Ostern an alle Gläubigen verteilt wurde. Nach einigen Minuten wurden wir dann zu den wenigen Sitzbänken auf der Kanzelseite geführt. Dort hörten wir uns noch etwa eine halbe Stunde die Liturgie an. Zeit das Straußenei über dem Eingang zum Altarbereich und die ausgezogenen Schuhe der Diakone unter der Vorderbank zu betrachten. Bewegung kam in die Kirche, als der Sarg zugedeckelt wurde. Einige Männer weinten und die Frauen wurde sehr laut in ihrer Art zu klagen. Der Sarg wurde in den Altarbereich hinein und auch wieder hinausgeführt, wanderte die Außengänge entlang und wurde durch den Mittelgang dann nach draußen getragen. Es folgten die Priester, wir als Gäste, die Männer und am Schluss die Frauen. Der Trauerzug brauchte über eine Stunde, um zum Friedhof zu gelangen. Dort waren nur noch die Priester und die Männer, d.h. eine einzelne Frau hatte sich durch das Gestrüpp des Friedhofparks bis kurz vor das Grabhaus durchgearbeitet. Als der Sarg ankam gab es viel Gedränge. Für die jungen Männer war es eine Ehre den Sarg zu tragen, also versuchten sich so viele wie möglich daran zu beteiligen. Als der Sarg in die Grabkammer hineingereicht war, stimmte ein Nichtpriester das Vaterunser an. Alle drehten sich in Richtung Osten und sprachen mit. Ein Priester sagte mit leiser Stimme etwas zu den Umherstehenden, was akustisch nur für wenige Leute verständlich war. Im Spalier verließen kurze Zeit später die Priester den Friedhof während die Männer den Priestern kondolierten. Abuna Qummus Joakiim starb an Hepatitis C.

11 Oktober, 2006

Im Blick auf die Behindertenarbeit hatten wir heute wieder eine Besprechung.


Feedback vom letzten Treffen:

  • Es war gut, dass sich die Eltern wieder sehen konnten.
  • Auch diesmal wieder die Aussage: „Es ist gut zu wissen, dass ich nicht alleine bin.“

Wir haben nun für die kommende Zeit folgendes beschlossen:

  1. Kleinere Gruppen. Nicht mehr alle gleichzeitig einladen, außer zu einem Fest.
  2. Ein Nachmittagsgruppe von 5-7 Uhr
  3. Eine Vormittagsgruppe
  4. Ausbildung der Mitarbeiter

Neu zum Team hinzugekommen ist Amaal.

Am 20.10. gibt es ein Treffen mit Eva aus Deutschland. Sie arbeitet an einer Förderschule in Deutschland. Mit ihrer Hilfe wollen wir die weitere Schritte konkretisieren.

06 Oktober, 2006

Gestern hatten wir unser erstes Treffen nach dem Sommer zu dem wir unsere bekannten Familien eingeladen haben. In den letzten Monaten sind etliche neue Adressen hinzugekommen. Von den 40 Familien, die wir angerufen haben, sind genau 17 gekommen. So viel wie noch nie vorher. Drei bereits am Vormittag und 14 am Abend. Die Freude war groß sich wiederzusehen, denn viele kannten sich ja bereits von den vorherigen Treffen. Nach einer Zeit des Small-Talks wurde wieder mit den Kindern und den Müttern gesungen. Anschließend erzählten wir den Eltern was wir vorhaben. Unsere Idee bestand darin an drei Vormittagen ein Programm für 3-5 Kinder anzubieten. Wir wollten nun von den Eltern wissen, ob sie uns ihre Kinder tatsächlich bringen würden. Die Antwort war etwas überraschend: 4 Kinder, so einige Eltern, würde man am Vormittag bringen, 12 Kinder lieber am Abend und eine Mutter wollte erst ihren Mann fragen. Wir hatten gehofft, dass wir aus einem größeren Pool von Kindern diejenigen auswählen könnten, die für einen Start nicht gerade die schwersten Fälle sein würden. Aber mindestens ein solches problematisches Kind war unter diesen vier. Was das Projekt Halbtagsbetreuung angeht müssen wir also erst Mal neu überlegen. Etwas frustrierend war, dass Damiana, eine potenzielle Mitarbeiterin, nicht gekommen war, was wir eigentlich erwartet hatten. Gefreut haben wir uns über die deutliche Resonanz der Eltern. Für viele Mütter ist dieses Treffen eine große Ermutigung, z.B. für die Mutter von Amira. Sie kommt aus Tingar, einem kenzi-nubischen Dorf. Amira leidet an schweren Spastiken. In ihrem Alter von 7 Jahren gab es bisher nur eine therapeutische Phase von einem Monat. Sie bräuchte eigentlich dringend Hilfe. Und genau in dieser Begegnung merken wir, dass wir mit unseren Möglichkeiten völlig am Ende sind und wir uns eingestehen müssen, dass wir keine Experten sind und diese aber dringend bräuchten. Just, während ich an diesem Text arbeite rief die Mutter von Asma aus Abu Simbel an, um uns mitzuteilen, dass sie nun nach Assuan gezogen ist. Asma war immer ein Mädchen, dass wir uns gut in einer Halbtagsgruppe vorstellen könnten.