17 Februar, 2009

Ästhetisierter Ernst

Peter Sloterdijk meinte vor einiger Zeit in seiner Talkshow: Philosophie könne nur noch in Gestalt der „Lagebesprechung“ angemessen betrieben werden. Also: Wie sieht die Lage aus? Die Lage ist ernst. Aber nicht zu ernst. Sie ist nämlich ästhetisch. Was soll man sich darunter vorstellen? Zunächst ein Zitat: Am 15. September 1959 schrieb Romano Guardini in sein Tagebuch: “Die Bedeutung, die dem Ästhetischen für die Existenz zugemessen wird, steht im umgekehrten Verhältnis von jener, die man der Wahrheit gibt. Je zweifelhafter das „Was“ des Daseins, desto wichtiger wird das „Wie“. Um das zu verstehen, ein paar Takte zur Wortbedeutung von "ästhetisch". Das Wort Ästhetik wird abgeleitet von dem griechischen Begriff „aisthesis“. Und dieses Wort bedeutet schlicht Wahrnehmung. Es geht um Wirkung, Spüren, Merken - um sinnliche Wahrnehmung. In dem Film Matrix wird das sehr schön anschaulich. Dort geht es um die durch Maschinen fast zerstörte reale Welt (Wahrheit) und parallel dazu um eine virtuelle Welt, die in eine Matrix (Computerprogramm) eingebettet ist (das Ästhetische). Die Wirkung der Matrix ist nämlich für den Menschen, genauer für sein Restselbst, perfekt, nämlich als eine ästhetische, also sinnlich erlebte Illusion. Die realen Körper der Menschen sind zu Batterien degradiert, die in Gestalt als humanoiden Larven in Gefangenschaft gehalten werden (Wahrheit). Diese Körper spüren nichts. Sie sind an-ästhesiert. Das Restselbst des Menschen und sein Bewusstsein ist Teil eines riesigen Computersystems, das vom Körper abgekoppelt ist. Man kann aus diesem doppelten Gefängnis befreit werden, aber nur auf Kosten der harten Wahrheit. Wer befreit ist, muss sehen, wie er mit den spartanischen Mitteln einer fast zerstörte Welt, aber menschlichen Welt leben muss. Manch einer will das nicht und kehrt freiwillig in die Matrix zurück. In einem Internetforum lass ich vor einiger Zeit folgendes:

„(sic) ich wähle trtozdem die Matrix (selbst wenn ich sie wie neo verändern könnte), da ich ein Leben in Lügen gar nicht so schlecht finde. Ich muss nicht gegen die Maschinen kämpfen, denn ohne sie können wir nicht leben und der Mensch ist wie ein Virus (Zitat Mr. Schmith) also muss man ihn vor sich selbst schützen, oder ihn vernichten. Es ist ein perfektes Programm das ich bewundere und es wäre eine schande dieses programm zu vernichten, die menschen sind zwar in einem gefängnis, dass sie nicht sehen, aber ausrotten würden die maschinen uns nicht, da wir doch ihre "batterien" sind.“

Wenn die Ästhetik stimmt, dann stimmt für viele Menschen alles. Wenn die Ästhetik der Wahrheit zu hart ist, dann nimmt man eine beliebige Ästhetik als Wahrheit, eine die Vorteile verspricht und mich berührt. Wahr ist, was mich anspricht. Auf diesem Wunsch basiert die ganze Werbung. Rüdiger Safranski schreibt: „Romantik ist neben vielem, was sie sonst noch ist, auch eine Fortsetzung der Religion mit ästhetischen Mitteln.“ Wir leben in der Neuromatik. Die Lage ist ernst, aber nicht zu ernst, denn wir haben ja noch den Mp3- und andere Player als Ästhetikum und wenn es mal zu viel wurde: Aspirin (als Anästhetikum).

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